Als vor einigen Monaten in Friedrichshagens Rathaus ein Leseabend stattfand, welcher dem Vorhaben gewidmet war, die Schließung der örtlichen Johannes-Bobrowski-Bibliothek zu verhindern, war auch Rolf Schneider, der als Einwohner der benachbarten brandenburgischen Gemeinde Schöneiche dem Berliner Stadtteil Friedrichshagen seit Jahrzehnten verbunden ist, mit einem Vortrag dabei: er las aus „Die Tante Jolesch“ von Friedrich Torberg das Kapitel über die legendären Krautfleckerln ebenjener Tante, deren Rezept sie mit in ihr Grab zu nehmen drohte.
Wieso Torberg? Weil Rolf Schneider, dessen Collage von Lebenserinnerungen des Titels „Schonzeiten“ ihn einmal mehr als grandiosen Literaturliteraten (wie er sich selbst bezeichnet) ausweist, als Kenner und Liebhaber der österreichischen Literatur bezeichnet werden darf. Friedrich Torberg und Hans Weigel, Robert Musil und Bruno Kreisky, Hans Haider und Norbert Kaser – ein Panorama der Geisteswelt des 20. Jahrhunderts entfaltet Rolf Schneider in diesem Buch, nicht nur der österreichischen naturgemäß: das Personverzeichnis (von Abusch bis Zweig) umfasst zehn Seiten.
Uns Berliner interessieren die politischen Äußerungen des Schriftstellers sehr, der der Deutschen Demokratischen Republik als Auswirkung des rheinischen Separatismus eine gewisse Notwendigkeit nicht aberkannte. Rolf Schneider, der die Staatsführung Ostberlins den Marxismus verraten sah, bekennt sich heute dazu, immer noch links zu sein und frei dazu. Dem großen Gefängnis DDR, das ihm (der im Westen publiziert wurde) regelmäßig Freigänge (nicht nur nach Wien) erlaubte, zieht er doch eindeutig die vereinigte Bundesrepublik vor, in der ihn keine Staatssicherheit mehr betreut.