Erotische Literatur hat in allen Zeiten schon mehr gemacht, als uns zum Lesen zu verführen. Immer trifft sie auch Aussagen über die Beschaffenheit unserer Gesellschaft, zeichnet Bilder aus ihrem Innersten und legt gesellschaftliches Unvermögen frei.
So zahlreiche Autoren sich schon mit unseren sexuellen Wünschen beschäftigt haben, so vielfältige Arten haben sie auch gefunden, sie darzustellen: weiblich, poetisch und sensibel wie Anais Nin, dreist, schenkelklopferisch und sinnenfroh wie Giovanni Boccaccio, Konventionen sprengend, explizit und skandalös wie D. H. Lawrence, mächtig, verhängnisvoll und wahnsinnig wie Vladimir Nabokov, verliebt bis in die Knochen und an viktorianischen Repressalien rüttelnd wie Oscar Wilde, exzentrisch, enthemmt und losgerissen wie Henry Miller, schnörkellos, beiläufig und sachlich wie Michel Houellebecq, auf abstoßende, rotzfreche Charlotte-Roche-Art, die auf Provokation aus ist, oder eben so modern, fröhlich, intelligent und sexy wie nur Nicholson Baker, der Philosoph unserer Begierden, es kann.
Baker schreibt keine Bücher mit „gewissen Stellen“, vielmehr welche, die quasi daraus bestehen, und füllt sie so dicht mit den unwahrscheinlichsten erotischen Ideen, dass eine prüde Zensur (hätten sie nicht schon Andere weitestgehend abgeschafft) unmöglich gemacht würde, denn striche man die „filthy four-letter-words“, die dank Bakers enormem Vorstellungsvermögen und seiner erstaunlichen Wortgewandtheit meist sogar mehr als sieben Buchstaben haben, dann bliebe von knapp 317 vergnüglichen Seiten nur sehr wenig Text übrig.
Sein Buch ist von heiterster Ausgelassenheit, humorvoll, unverkrampft, unheimlich im wahrsten Sinne dieses Wortes, nämlich offen in Allem und für Alles, dabei nie marktschreierisch oder erschreckend, gar schockierend, es ist lebensbejahend, zutiefst menschlich, aber nicht abgründig, es ist erfinderisch, wortschöpferisch, ehrlich, aber nicht drastisch und so frei, wie es letztlich nur Utopie sein kann.
Ein Buch für Menschen, die nicht nur der sexuellen Spionage, sondern der ironischen Selbstbetrachtung fähig sind, denn es geht, wie bei Baker schon zuvor („Vox“, „Die Fermate“), um Menschen unserer voyeuristischen, westlichen Konsumgesellschaft, kontakt- und gefühlsgehemmt, egozentrisch, narzisstisch, an ihrer Unerfülltheit leidend, sexuell frustriert und dennoch der wirklichen Hingabe unfähig. Das aber nur in zweiter Ebene; in erster Linie geht es um das Gegenteil: Man befindet sich nicht, wie Arthur Miller es genannt hat, „im Hinterland der Seele“, sondern auf ihren gepflegten, sonnengewärmten Rasenflächen, plaudernd, einen Drink in der Hand. Sex, der nicht in dunklen, schmuddligen Ecken stattfindet, sondern in einem hellen, freundlichen, in jeder Hinsicht luxuriösen Ambiente, mit zuvorkommenden Angestellten, wo man nette, höfliche Umgangsformen hat, mit angeschlossenem Vergnügungspark und diversen kuriosen Einrichtungen, im „Haus der Löcher“.
Wie man dahin gelangt? Wie wir es von Nicholson Baker gewohnt sind: auf sonderbare, skurrile Weise. Raten Sie mal! Natürlich durch Löcher.
Das winzige Ohrloch der hübschen Kellnerin, das Loch im Wäschetrockner im Waschsalon, das im Strohhalm unseres Cocktails, ein Loch auf dem Golfplatz, eines im Pfefferstreuer …
Wir werden eingesogen in dieses Buch. Also achten Sie auf die Löcher!