Von der Quitte

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Für das Weihnachtsgeschenk, das mir dieses Jahr die schönste Freude bereitet hat, sorgte die Schwägerin: Ich bekam ein Glas selbstgemachtes Quittenmus, und die Früchte, die sie so besonders zubereitet hatte, stammten von dem Quittenbaum aus dem Garten meiner Eltern!

Die Quitte ist meine Nummer 1 unter den Früchten. Sie ist auch die Nummer 1 in mandelbaums kleinen gourmandisen, einer feinen Buchreihe, welche unbekannte Rezepte und Klassiker, Warenkunde und kochtechnische Hinweise genauso wie eine Übersicht über Herkunft und Kulturgeschichte dieser und weiterer Delikatessen bietet.

Es gibt etwas Gutes in dieser besonderen Zeit: Wir besinnen uns auf das Wertvolle, was wir haben, und erinnern uns der Schätze und Bräuche, die uns unsere Ahnen gaben.

Unsere Erwartungen an Weihnachten

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Ich bin Katholik. Eines Tages werde ich dem Papst einen Mann zur Seligsprechung vorschlagen, von dem ich weiß, dass er Wunder bewirkt hat; allein dass es ihn gibt, ist ein Wunder. Wenn Sie in Friedrichshagen wohnen, wird Ihnen seine Erscheinung wohl gegenwärtig sein.

Ich rede von Gerhard Begrich. Die Wochenzeitung DIE ZEIT sprach dieser Tage mit ihm über unsere Erwartungen an das bevorstehende Weihnachtsfest:

Begrich (Foto: DIE ZEIT) ist der Meinung, dass wir heute so schwer zur Ruhe kommen, weil uns die Muße abhandengekommen sei. „Gerade im Advent deckt eine unglaubliche Hektik die Sinnfrage zu. In unserer Angst, etwas zu verpassen, verpassen wir das Augenblicksglück und gieren nach Glücksinflation.“ Dabei gebe es das Glück des Lebens nur angesichts des Todes. Der Tod mache das Leben wertvoll. Sich darauf zu besinnen, das sei Weihnachten und vertreibe die Furcht.

Es ist der Kern des christlichen Glaubens, jeden Mitmenschen so ansehen zu können, als begegne einem Gott. So ergeht es mir immer wieder mit Gerhard Begrich  — ich vermute allerdings, dass er ein Lutheraner ist: Seine Neuübersetzungen biblischer Schriften, die im Radius-Verlag erscheinen, stehen immer wieder in den Regalen meiner Buchhandlung.

Zu Beginn dichtete Gott den Himmel und die Erde,

heißt bei ihm der Anfang der Genesis, und jeder Dichter wird diese Übersetzung loben!

Ich wünsche mir und Ihnen zu Weihnachten, dass wir uns von unseren Erwartungen nicht betrügen lassen. Mögen wir wahrnehmen, was uns augenblicklich begegnet!

Mensch Merkel

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Die Mundwinkel galten als ihr Makel. Nun trägt sie Maske. An ihren Augen sollen wir sie erkennen (Foto: dpa/Kay Nietfeld).

Merkels Augen waren groß und strahlend blau, und sie konnten abwechselnd den Ausdruck von Frustration, Belustigung und Andeutungen von Besorgnis annehmen. Andererseits spiegelte ihre stoische Art ihr nüchtern-analytisches Bewusstsein wider. Gefühlsausbrüchen stand sie bekanntermaßen misstrauisch gegenüber.

Heute erscheint das erste Erinnerungsbuch des Präsidenten Barack Obama (Penguin, 42 Euro), und das in allen großen Sprachen der Welt; sieben Übersetzerinnen haben sich bemüht, aber das Resultat entspricht nicht immer der Eleganz des Originals.

Was in der deutschen Versionen deutlich wird: Obama ist ein großer Menschendarsteller. Pointiert schildert er seine Begegenungen mit Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, mindestens zwei Literaturnobelpreisträger sind dabei.

Noch’n Gedicht

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Gerade kam Frau B. herein und fragte mich, ob ich ein Gedicht für sie hätte.

Ich schlug den von Jutta Bauer wundervoll subtil illustrierten Heinz-Erhardt-Kalender auf (Lappan-Verlag, 15,99 Euro) und las Die Schnecke:

Mit ihrem Haus nur geht sie aus! / Doch heut lässt sie ihr Haus zu Haus, / es drückt so auf die Hüften. / Und außerdem – das ist gescheit / und auch die allerhöchste Zeit  — : / Sie muss ihr Haus mal lüften!

Der Buchladen bleibt in den Zeiten der Pandemie gut gelüftet. Ich schließe die Ladentür abends um fünf.

Herr Brecht, Herr Tavares und Herr Xi Jinping

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Eine Berliner Filiale der Buchhandelskette Thalia bietet derzeit ein umfangreiches Sortiment an chinesischer Literatur an. Erstaunliche Titel finden sich da in den Regalen, beispielsweise China regieren“, eine Reden- und Schriftensammlung des um das Glück des chinesischen Volkes sich kümmernden Staatslenkers Xi Jinping. Nun kam heraus, dass die Regale von der China National Publications Import & Export Corporation bestückt werden und Thalia für die Bereitstellung der Ladenfläche kräftig kassiert.

Es ist übrigens nicht ungewöhnlich, dass derlei Präsentationen, die in dem Laden als Thalia.de Tipp bezeichnet werden, von den Konzernen finanziert werden, deren Bücher da feilgeboten werden.

Unabhängige Verlagshäuser haben es bei Thalia dagegen schwer. Ein Kunde, dem ich aus der Wiener Edition Korrespondenzen das Werk Herr Brecht und der Erfolg“ von Gonçalo M. Tavares (in Ganzleinen für 16 Euro!) ans Herz gelegt hatte, rief mich ein paar Tage später aus einer Thalia-Filiale an, wo man ihm dieses Buch, welches er nochmals verschenken wollte, nicht bestellen konnte: Es gab dort keinen Buchhändler, der diesen Autor Tavares kannte, dem von seinem portugiesischen Vorgänger Saramago einmal der Nobelpreis vorausgesagt worden war.

Der Herr Brecht von Herrn Tavares ist mit seiner Fabulierkunst so erfolgreich, dass die Hütte aus allen Nähten platzt!

Herrn Xi Jinping empfehle ich seine folgende Geschichte:

In einem Land tauchte ein Mensch mit zwei Köpfen auf. Er wurde als Monstrum betrachtet und nicht als Mensch.

In einem anderen Land tauchte ein Mensch auf, der immer glücklich war. Er wurde als Monstrum betrachtet und nicht als Mensch.

Was ist eigentlich eine Buchhandlung?

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Die Kulturstaatsministerin nimmt 20 Millionen Euro in die Hand, um den „Neustart Kultur“ in der Buchbranche zu bewerkstelligen. Unter einem Neustart (auch englisch Reboot oder Restart genannt) eines Rechnersystems (Computer) versteht man das erneute Hochfahren (Booten) des Rechners, wenn dieser bereits eingeschaltet ist. Ein Neustart wird auch Warmstart genannt, entnehme ich Wikipedia. Die Buchbranche gilt als systemrelevant, und klar wird aus den Förderrichtlinien, dass es sich bei dem System um ein Rechnersystem handelt:

Buchhandlungen mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland erhalten Unterstützung für die Digitalisierung ihrer Vertriebswege – von der Anschaffung zeitgemäßer Hardware über die Einrichtung eines benutzerfreundlichen Webshops bis zu entsprechenden Fortbildungen. Alle Buchhandlungen mit maximal 2 Millionen Euro Umsatz im letzten Geschäftsjahr dürfen sich um die Förderung bewerben, vorausgesetzt ihr Gesamtumsatz setzt sich zu mindestens 50% aus dem Verkauf von Büchern zusammen.

Der größte Buchhändler in Deutschland heißt Amazon. Allerdings gibt es hierzulande auch kleinere Geschäfte, die sich zwar Buchhandlungen nennen, ihren Profit jedoch nicht hauptsächlich mit dem Verkauf von Büchern erzielen.

Was ist eigentlich eine Buchhandlung? Die Antwort bringt mir ein Buch, in dem der Romanautor von seinem Antrieb, eine Bar zu eröffnen, schreibt:

Es kann nicht sein, dass wir unsere gesamte Lebenszeit in keimfreien Büros und keimfreien Fitnessstudios, keimfreien S-Bahnen und keimfreien Wohnzellen zubringen, und es darf nicht soweit kommen, dass die Menschen einander nur noch im Internet begegnen. In einem lebendigen Gemeinwesen müssen die Menschen sich an einem physischen Ort frei begegnen können, man sollte seine Freunde nicht nur bei Facebook haben, und auch in Zukunft wird es Orte geben müssen, an denen wir unseren Tanz tanzen und unsere Lieder singen können in der knappen Zeit, die uns beschieden ist.

Ich wünsche der Kulturstaatsministerin, sie möge nicht nur an Ihrem Rechner sitzen, sondern sich auch einmal von einem Buch überraschen lassen. Das Buch, das ich in der Hand habe, heißt Das Leben ist gut, Alex Capus hat es verfasst.

Das Leben in seiner ganzen Fülle

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Abschiedsfarben heißt (nach Sommerlügen und Liebesfluchten) der neue Geschichtenband von Bernhard Schlink, und diese Farben sind alles andere als düster. Sein Olga-Roman hatte mich zuletzt formal nicht überzeugt, nun aber erkenne ich Schlink als unaufgeregten Autor in seiner schnörkellosen Sprache wieder. Der 75-Jährige vermag es, wie sonst eigentlich nur die großen Zeitgenossen der nordamerikanischen Literatur, in der Kurzgeschichte eine gesellschaftliche Symptomatik erkennen zu lassen, ohne jemals aufdringlich zu wirken. (Na gut, die Sex-Szenen erscheinen schablonenhaft, aber das ging mir bei James Salter auch schon so …)

Das Leid des Einzelnen geht im Leid der Welt nicht auf, das Unvorhersehbare ist es, was uns das Leben in seiner ganzen Fülle spüren lässt. (mehr …)

Eine musikalische Europareise

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Die Nachbarsfamilie ist verreist und der Garten verwaist. Daher ist heute genug Platz für eine große Menge von Menschen, die ich zu einer Abendveranstaltung eingeladen habe. Ein Wunder: der Regen hat während dieser Stunde eine Pause eingelegt.

Katja Beisch hat verschiedene Blockflöten mitgebracht, Anke Böttger das Barockcello und die Viola da gamba. Die beiden weitgereisten Künstlerinnen, die zur Zeit nicht auf Konzerttournee gehen können, haben uns zu einer Europareise durch Frankreich, England, Holland und Deutschland verführt. Besonders hat es mir die Suite in e-moll von Matthew Locke angetan, von dem ich nie zuvor etwas gehört habe. 

Wenn Sie von derart exklusiven Veranstaltungen rechtzeitig erfahren wollen, melden Sie sich bitte für den leselieber-Newsletter an.

Lesen hält wach

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In Ozeanien heißt die vorherrschende Philosophie Engsoz, in Eurasien heißt sie Neo-Bolschewismus, und in Ostasien trägt sie einen chinesischen Namen, der gewöhnlich mit Todes-Kult übersetzt wird, sich aber vielleicht treffender als „Auslöschung des Ich“ wiedergeben ließe. Der Bürger Ozeaniens darf nichts von den Leitsätzen der beiden anderen Philosophien wissen, sondern man lehrt ihn, sie als barbarischen Frevel an der Moral und dem gesunden Menschenverstand zu verabscheuen. In Wahrheit unterscheiden sich die drei Philosophien kaum, und die Gesellschaftssysteme, die von ihnen gestützt werden, unterscheiden sich überhaupt nicht. 

Das sind Sätze aus einem Ullstein-Taschenbuch, das immer in meiner Buchhandlung liegt, immer wieder gekauft und hoffentlich dann auch wirklich gelesen wird.

Es handelt sich um „1984“ von George Orwell, der heute vor 117 Jahren geboren wurde. Er schrieb diesen Roman 1948, also 36 Jahre vor dem Jahr, in dem seine Geschichte stattfindet. Nun sind weitere 36 Jahre vergangen und das Buch handelt immer noch und wieder von der Gegenwart.

Der Briefschreiber Marcel Reich-Ranicki

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Heute wäre Marcel Reich-Ranicki 100 Jahre alt geworden, und aus diesem Anlass brachte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vorgestern ein paar bislang unveröffentlichte Briefe an Schriftsteller, die das Temperament des Chefkritikers der deutschsprachigen Literatur zu spüren bekommen haben. Thomas Anz, der Reich-Ranickis Nachlass verwaltet, lässt anklingen, dass die noch ausstehenden Editionen seiner Briefwechsel etwa mit Günter Grass und Martin Walser mehrere Bände füllen könnten.

Auch ich besitze einen Brief von Marcel Reich-Ranicki! Mein gesamter Briefwechsel mit ihm umfasst allerdings nur wenige Zeilen, welche die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor mehr als sieben Jahren abgedruckt hat: Sie können auf diesen Seiten meinen Beitrag dazu lesen!

„Auf Goethe sollten Sie natürlich nicht verzichten“, riet mir Reich-Ranicki also, und so habe ich immer den West-östlichen Divan im Laden stehen, aus dem ich gerne (ausnahmsweise ohne Mundschutz) rezitiere:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einziehn, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt.