„Noch einmahl sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen, / Zum Ritt ins alte romantische Land!“
Wer sich traut, dem Dichter, der nach eigener Aussage von einem „holden Wahnsinn“ befallen ist, auf dieser phantastischen Reise zu folgen, der bekommt – schon die ersten sieben Strophen dieses Versepos beleuchten, was danach entfesselt wird – eine Rittergeschichte zu hören, die keine Wünsche offen lässt:
ein „buntes Gewühl“ aus herabsausenden Schwertern und blinkenden Schneiden, es „fliegt hier ein Kopf, und dort ein Arm, den Säbel noch in der Faust“, ein zorniger Sultan, ein rachsüchtiger König, blutrünstige Kämpfe, Flucht, ein keulenschwingender, grausiger Höhlenbewohner, dem am Ende gar Tränen der Rührung im Barte hängen, leichentragende Gespenster, Zwerge, Schiffbruch, Hoffnung auf glückliche Rettung und selbstverständlich … leidenschaftliche, alles überwindende Liebe.
Was der junge Hüon in Christoph Martin Wielands „Oberon“ zu bestehen hat, ist „halsbrechend Werk, sogar in Karls des Großen Tagen: / In unsern würd‘ es, auf gleiche Gefahr, / Um allen Ruhm der Welt KEIN junger Ritter wagen.“
In eine (kann es anders sein?) hinterlistige Falle geraten, tötet er, mehr in Notwehr und aus Versehen denn absichtlich, den zweiten Sohn Karls des Großen, „den schlimmsten Fürstenknaben im Christenthum“. Der dramatisch-grausame Zufall will es, dass sich Hüon bei Karl in dessen Räumlichkeiten befindet, als die Leiche hereingetragen wird.
Ein Benediktinermönch kann noch geradeso ein Gemetzel der blinden Wut verhindern und in ein (allerdings von Gegners Seite nicht minder blindwütiges) Duell verwandeln, aus welchem Hüon – Quelle seines Mutes ist natürlich seine Unschuld – als Sieger hervorgeht.
Karl, so der Möglichkeit der sofortigen Hinrichtung beraubt, verbannt ihn aus allen seinen Reichen; Wiederkehr würde Tod bedeuten, es sei denn, Hüon gelänge es, Bedingungen zu erfüllen, die nicht besser klingen als ein Todesurteil und die man getrost „Stirb Langsam 1300“ nennen könnte:
Hüon soll sich nach Babylon begeben, während eines Festes in den Palast des Kalifen eindringen, demjenigen den Kopf abschlagen, der ihm zur Linken sitzt („dass sein Blut die Tafel überspritze“), sich dann der Tochter des Kalifen nähern, sie dreimal küssen, sich mit ihr verloben, danach vier seiner Backenzähne als Geschenk für Karl erbitten und eine handvoll Haar aus seinem Bart.
Hüon, der die Wahl nicht wirklich hat, wagt die Unternehmung, wirft sich in Rom dem Papst zu Füßen (welche er bereits mit „einem reichlichen Strom“ seiner „bußfert’gen Zähren angefeuchtet“ hat), um zu beichten. Er empfängt zwar die Segnung nebst der beruhigenden Worte, dass alles gelingen werde, aber auch die Aufforderung, nach Jerusalem zu pilgern.
Nach dieser Wallfahrt fühlt sich Hüon „nun an Muth und Glauben zwiefach kühn“ und reitet gen Bagdad. „Stets denkt er, kommt es bald?“
Oh nein, lieber Hüon, es kommt nicht.
Felsige, steile Hügel sind zu erklimmen, dichte, nachtschwarze Wälder und endlos-große Wüsten zu durchqueren, ganze Länder, in denen man nicht nach dem Weg fragen kann, weil einen niemand versteht, bei Sturm und Regen, undurchdringliches Gebüsch, von Löwen bedroht…
Der Held, obwohl kein Weichei („wiewohl kein Weibessohn“) bekommt langsam Angst.
Und das ist erst der Anfang!
Der, von dem Shakespeare uns schon so wunderbar im Sommernachtstraum erzählt, nämlich Oberon, der Elfenkönig, der als Deus ex machina die Geschicke der Menschen lenkt, der bei Goethe schaurig-schön vom Elfenkönig zum Erlkönig wurde und in Faust I mit Titania Goldene Hochzeit feiert, den Carl Maria von Weber zu einer verzaubernden Oper verarbeitete – dieser Oberon lässt Wieland, übrigens erster Übersetzer von Shakespeare-Dramen, zu Bestform auflaufen.