„Siddhartha“ kann als das dritte Meisterwerk Hermann Hesses gelten, es reiht sich nahtlos zwischen „Narziss und Goldmund“ und „Glasperlenspiel“ ein, und dennoch behält es das ihm Eigene, das Besondere.
In „Siddhartha“ legt Hesse eine unvergleichliche Sprache an den Tag, eine Sprache, die, so sehr sie aus dem Indischen, so sehr auch westliche Dichtung ist. Es wird eine Landschaft gemalt, deren Rahmen nur durch wenige, grobe Pinselstriche angehaucht ist, ein minimalistisches Gerüst, angefüllt mit Leere und Stille, auf dem dann buntverzierte Details thronen, eines feiner und nuancierter als das andere.
„Siddhartha“ besitzt die Form eines Grashalmes mit der Farbe des Spiegels. Auf diese Weise wird ganz konträr eine Verbindung zwischen Einheit und Unendlichkeit hergestellt. Weise mutet diese Erzählung an, wie ein Singsang, ein endlos scheinendes Mantra, das auch nach Ende der Erzählung wie das Om in allen Entitäten menschlicher und göttlicher Existenzen weiterhallt.
Klingt das zu abgehoben? Wie lässt sich ein Buch wie dieses beschreiben? Nur auf eine Weise: Das Werk muss dargestellt werden mit den Mitteln, die es selbst inhaltlich oder stilistisch verwendet.
„Siddhartha“ beschreibt alles. Es ist das Wesentliche und das Wahre in Welt und Mensch. Es ist die Suche nach Gott, die Suche nach sich selbst, die Suche nach Brahman und Erlösung und nach dem rechten Weg im Leben und es ist dennoch im selben Atemzug das Finden all dieser Dinge, das Finden von Reinheit, von Verständnis und Weisheit und noch über diesen Dingen ist es ein Nichts, ein schwarzes Loch, es ist der Ouroboros, ohne Anfang und ohne Ende. Wollte man es verständlicher ausdrücken, müsste gesagt sein: „Siddhartha“ beschreibt den Weg von Geburt zu Tod und parallel den von Unwissen zu Wissen, von Gefangenschaft zu Freiheit, es beschreibt tausend Wege zugleich, die allesamt in der Erkenntnis enden, im Größtmöglichen des Menschen.
Ich will kein klares Urteil über dieses Buch abgeben, denn ich kann seine Perfektion nicht infrage stellen und – der Erinnerung an die Botschaft dieser Dichtung gewahr – auch nicht einfach annehmen. In diesem Buch ist alles enthalten, das Wahre und das Nicht-Wahre, es ist in den Worten verborgen, und Hesse zeigt deutlich, dass alles andere hinter ihnen liegt und, wenn auch nicht in den Worten, in der Erzählung an sich zu finden ist. „Siddhartha“ zeichnet sich also auch durch das aus, was nicht in Form von Worten darin verzeichnet ist. Es ist genau das, was es ist, und es ist alles, es ist die feste Erde und der fließende Fluss. Es ist wie der Wind und das Wasser und zugleich klar und rein einzig Mensch.