Wenn heute mitten in Berlin eine Demonstration stattfinden wird unter dem Motto, der deutsche Staat solle den Kämpfern in der Ukraine das Geschenk von Kriegsgerät vorenthalten, mit dem diese die von dem als faschistisch verschrieenen Moskauer Regime angetriebenen Invasoren aus ihrem Land zu vertreiben beanspruchten, werden sich wohl auch Mitarbeiter verschiedener Geheimdienste unter den Teilnehmenden tummeln. Es heißt nämlich, die Kundgebung werde von deutschen Faschisten unterwandert, sodass es sich bei der Friedensbewegung um ein Bündnis von ganz links bis rechts handele, das unserer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung gefährlich werden könne.
Faschisten also allenthalben.
Ich finde aber, zu unserer Kultur gehörte die christliche Feindesliebe, und bedaure es selbst, wenn auch jene jungen Männer verrecken müssen, die gerade ihr Überlebensdrang dazu gebracht hat, sich einer verbrecherischen Söldnertruppe anzudienen. Es sind die Armen, die jung sterben.
Dazu erinnere ich an Pier Paolo Pasolini, den ich als einen katholischen Schriftsteller schätze, der wirklich mit dem Faschismus zu kämpfen hatte.
Er bezeichnete in einem Disput vor bald fünfzig Jahren (in seinen Freibeuterschriften bei Wagenbach immer noch greifbar) einen Satz seines Kollegen Italo Calvino als „unselig“: „Die jungen Faschisten von heute kenne ich nicht, und ich hoffe auch, dass ich keine Gelegenheit haben werde, sie kennenzulernen.“
Pasolini entgegnete: „Der Wunsch, nie junge Faschisten kennenlernen zu wollen, ist eine Lästerung, denn wir sollten, im Gegenteil, alles tun, um sie zu finden und mit ihnen zu sprechen. Sie sind nämlich nicht vom Schicksal auserwählte und prädestinierte Ausgeburten des BÖSEN: Sie sind nicht geboren worden, um später Faschisten zu werden. Niemand hat ihnen, als sie halbwegs erwachsen und im Stande waren, sich zu entscheiden — aus Gründen und Zwängen heraus, die wir nicht kennen — rassistisch das Brandmal des Faschisten aufgedrückt. Was einen jungen Menschen zu dieser Entscheidung treibt, ist eine Mischung von grenzenloser Verzweiflung und Neurose, und vielleicht hätte eine kleine andersartige Erfahrung in seinem Leben, eine einzige simple Begegnung genügt, um sein Schicksal anders verlaufen zu lassen.“
Auf allen Seiten sind es Menschen, die kämpfen und irren, lieben und hassen. Und von den Ideologien sich verderben lassen.