In der westdeutschen Bundesrepublik gab es einen einzigen Bürger-Präsidenten, ich erinnere mich an das kantige Gesicht und die Hornbrille auf den Briefmarken der Siebzigerjahre. Mit Gustav Heinemann verbindet mich der Geburtstag (ich bin natürlich ein paar Jahre jünger) und das Bändchen mit seinen Präsidialen Reden (edition suhrkamp, vergriffen) gehört zu meinem Inventar.
Die Qualität unseres Lebens in allen ihren Bezügen steht hier zur überprüfenden Erörterung.
Am 11. April 1972 richtete Gustav Heinemann diese Worte an eine Versammlung der Industriegewerkschaft Metall:
Das Tempo, das die unsere Luft, das Wasser und die Erde verseuchenden Einflüsse sowie der Abbau lebenswichtiger Rohstoffe angenommen hat, ist erschreckend. Die junge Generation kritisiert mit Recht das Ausmaß unserer Gedankenlosigkeiten. Um der Zukunft derer willen, die unsere Kinder und Enkel sind, müssen wir alle bereit sein anzuhalten und, wo nötig, zurückzustecken. Lebensführung und Lebensstandard der Industrievölker im ganzen können fragwürdig werden.
Der gläubige Christ fuhr fort:
Gott hat nicht gesagt, der Mensch solle die Erde ausbeuten. Er hat uns die Erde anvertraut, und wir haben die Pflicht, sie pfleglich zu behandeln, auf dass sie die Lebensgrundlage auch derer bleibe, die nach uns kommen.
Vor fünfzig Jahren also ist es auch schon kein Geheimnis gewesen, dass ich mich, wie es der Soziologe Stephan Lessenich (Neben uns die Sintflut, Piper Taschenbuch, 11 Euro) neuerdings bezeichnet, in einer Externalisierungsgesellschaft befinde:
Wohlhabend, umweltbelastend und dabei zufrieden zu sein ist demnach eine im Weltmaßstab weitaus häufiger anzutreffende Kombination als das spätkolonialistische Zerrbild des edlen Wilden, den seine gezwungenermaßen vorbildliche Umweltbilanz glücklich macht.