Es irritiert mich, dass in dem Moment, da in Kiewer Metrostationen Menschen sitzen, deren Wohnhäuser gerade von russischen Luftstreitkräften zerstört werden, hier in Berlin in meine Buchhandlung Menschen kommen, die sich nach Büchern erkundigen, welche ihnen einreden, was für Verheerungen in der Welt das Imperium USA (Westend-Verlag, 25 Euro) angerichtet habe.
Die Weltbilder sind das eine; daneben stehen die unmittelbaren Erfahrungen.
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur.“
Niklas Luhmann ist berühmt für diese Worte. Dazu gehört aber auch der Satz: „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.“ Ich entnehme diese Sätze dem überaus anregenden, flüssig geschriebenen Buch des Kommunikationswissenschaftlers Michael Meyen Die Propaganda-Matrix (Rubikon-Verlag, 18 Euro).
Die Wahrheit ist nicht voraussetzungslos. Die jeweilige Ordnung des Diskurses bestimmt, wo wer was sagt und ob die Äußerung allgemein akzeptiert wird. Der Tagesspiegel vermittelt seinen Lesern, dass sie zum meinungsbildenden Mainstream gehören, da er sich als das Leitmedium der Hauptstadt bezeichnet. Die selbsternannten alternativen Medien ziehen sich solche Konsumenten heran, welche sich ihre Selbstbehauptung davon versprechen, als Outlaws zu gelten.
Zwar ist es „immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven Polizei gehorcht“, sagt Michel Foucault, ein weiterer Gewährsmann von Michael Meyen. Meine Medienkompetenz beweise ich insofern, dass ich annehme, dass alles, was ich zu den weltbewegenden Problemen äußere, unter dem Vorbehalt der Beschränktheit meiner Kenntnisse steht; die Meinungspolizei herrscht in Deutschland allerdings nicht willkürlich, sondern wird von den Gesetzen des Marktes und der Demokratie reguliert.
Ich habe die Bilder von den Menschen gesehen, die aus ihren Häusern in Kiew gebombt worden sind, ihnen gehört also mein Mitgefühl, ihnen muss geholfen werden, finde ich. Dass andere Menschen die Nachrichten aus Kiew in ihren Bildergalerien einer von sichtbaren und unsichtbaren US-Armeen gelenkten Weltordung unterbringen möchten, muss ich dennoch akzeptieren. Das nennt sich Meinungsfreiheit; wenn es sie nicht mehr gäbe, hätte der Polizeistaat Putins gesiegt.