Die akademische Karriere ist das geringste Problem von Richard Kraft, der auf dem Stuhl von Walter Jens am Neckar im schönen Tübingen Platz genommen hat. Sein Arbeitsleben ist eigentlich gegeben und alles ist in wenigen Sätzen dargelegt. Vielmehr sind es zwei große Themen in dem Roman: Zum einen der politische und zum anderen der private Kraft. Und beides wird verwoben durch die Frage, warum denn die Welt, so wie sie ist, gut sei.
Kraft braucht Geld, seine zweite Ehe läuft mies, die Scheidung würde kostspielig werden und zudem hat er noch hohe Ausgaben für zwei Kinder aus einer ersten Liaison. Sein Studienfreund Iwan sendet ihm die Einladung zu einem Preisausschreiben über eine Million Dollar, das ein reicher amerikanischer Unternehmer (nicht ganz uneigennützig) stiftet. Kraft, ein brillanter Stilist und Redner, ergreift die Chance und sitzt denn gleich auch zu Beginn des Buches im „Hoover Institute of War, Revolution and Peace“ dem Bildnis des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld gegenüber, in dessen Visage sich Krafts Bemühen um eine gute Idee stetig spiegelt.
Jonas Lüscher schreibt ein witziges Buch. Für mich war die Beschreibung der Bundestagsdebatte in Bonn, bei der Kraft und Iwan das Misstrauen gegen Schmidt und das Antreten Kohls begeistert auf den Besucherrängen verfolgen, ein großes kabarettistisches Vergnügen.
Jonas Lüscher erzählt kurz und präzise und mit einem großen Sinn nach Humor. In mitunter längeren Sätzen, die sich aber auflösen, erfolgen Sprünge in Krafts Kindheit, in der ihn – vaterlos – Willy Brandts Kniefall tief ergriff, oder wir finden uns in seinen Studienzeiten an der Westberliner FU wieder, an der er sich von der linken Mehrheit eben dadurch abzugrenzen versucht, indem er sich dem neuen Wirtschaftsliberalismus anschloss. Das ist denn auch der politische Kern des Buchs, in dem Lüscher es versteht, Zweifel an unserer wirtschaftlichen Verfasstheit ganz indirekt zu wecken, nämlich durch Kraft und Iwan die eigentlich Marktradikalen. Beide stiften zusammen Unruhe, jubeln Reagan und Thatcher zu, ein wenig wie Lausbuben, die zu zweit auftreten und angebotsorientierte Streiche spielen. Die politischen Abschnitte empfand ich nicht als dominant, folgte ihnen – dem Stil nach – amüsiert. An Richard Kraft entwickelte ich denn auch ein ganz eigenes Interesse. Wie er sich sehnt, eine Familie zu gründen, scheitert und alten Liebschaften nachsinnt. Oder wie er bemerkt, dass die alte Freundschaft zu Iwan nicht mehr die gleiche sein kann. Er hat eine eigene Geschichte. Er zweifelt, wenn er es auch nicht zeigt, und mit seinem ausführlichen Sprechen (Lüscher seziert es genüsslich als „schwafeln“) ersucht, die Welt sich zugänglich zu machen. Mir war er nicht unsympathisch, und wenn Kraft ein Bootsunglück passierte, zwischen Robben und Enten strandete und sich nackt am Rande des Silicon Valleys mit all seinen Optimismen wiederfand, tat er mir leid. Auch die Beziehungen, zur Bildhauerin Ruth und Mikrobiologin Johanna, deren Scheitern das Buch hindurch erkundet wird, tangieren. So also steht Richard Kraft vor uns und soll nun bei dem Preisausschreiben eines zwanghaften Fortschrittseuphoristen beweisen, dass die Welt, so wie sie ist, gut sei.
Eine alte Frage, die aber keineswegs für Kraft eine akademische sein kann. Vielmehr ist er existenziell an sie gekettet, muss sein eigenes Unglück und auch seine Weltanschauung, die dominant wurde, an ihr behaupten. Kraft ist am Schluss kraftlos und findet kein gutes Ende.
Fazit: Die Seiten lesen sich schnell. Der Roman ist wohl komponiert. Eine zeitgenössische Theodizee wird einem Menschen zur Beantwortung vorgesetzt, der eigentlich an das Fortschreiten glaubt, aber auch weiß, dass alles nicht so einfach sein kann. Das politische Geschehen erscheint in einem großen Kabarett und ein Leben in all seinen vielen Verwerfungen.